Statements von Google-Nordeuropa-Chef Philipp Schindler in der FAZ:
Für Philipp Schindler, den Nordeuropa-Chef der Internet-Suchmaschine Google, ist der deutsche Markt ein Rätsel.“Google ist bei den deutschen Internetnutzern sehr beliebt. Aber mehr als die Hälfte der Wirtschaftslenker in Deutschland weiß nicht, wie unser Geschäft funktioniert und wie Google die Werbewirtschaft revolutionieren wird. Und das, obwohl Google im vergangenen Jahr 6,1 Milliarden Dollar Umsatz mit Online-Werbung erzielt hat. Das ist in England oder in Amerika ganz anders“, sagt Schindler im FAZ-Gespräch.
Unternehmen werben nicht dort, wo ihre Kunden sind
Diese Unkenntnis ist für ihn ein wichtiger Grund, warum die Online-Werbung in Deutschland bisher erst einen Anteil von 4,4 Prozent an den gesamten Werbeausgaben erreicht hat. Das, sagt Schindler, ist ein schwerer Fehler.“Die Ausgaben für Online-Werbung liegen dramatisch unter der tatsächlichen Nutzung der Menschen, die rund 20 Prozent ihrer Medienzeit im Netz verbringen. Diese Strukturlücke ist in Wirklichkeit sogar noch größer als die einfache Differenz der beiden Zahlen, denn der Anteil der aktiven Produktsuche an der Internetzeit ist weit höher als in anderen Medien. Zudem ist die durchschnittliche Kaufkraft der Internetnutzer größer als die Kaufkraft der Fernsehzuschauer“, sagt Schindler. Sein Fazit: Die Unternehmen investieren nicht dort in Werbung, wo ihre Kunden sind.“Wer heute weniger als 20 Prozent seiner Budgets in die Online-Welt investiert, verpaßt seine besten Zielgruppen“, sagt Schindler.
Viele Produktkäufe werden im Internet vorbereitet
Die Wirkung dieses Fehlers werde von einer Eigenart des deutschen Markts noch verschärft:“Die Neigung, Produktkäufe im Internet vorzubereiten, dann aber im stationären Geschäft zu kaufen, ist in Deutschland sehr ausgeprägt. In einigen Produktgruppen laufen heute mehr als 80 Prozent aller Kaufvorbereitungen einschließlich der Entscheidungen für ein Produkt nur noch online ab – gekauft wird dann aber im Geschäft“, verweist Schindler auf Marktforschungsergebnisse. Bestes Beispiel sei die Autoindustrie: Vor einigen Jahren sei ein Autokäufer im Durchschnitt zu etwa sechs Händlern gegangen, bevor er gekauft habe. Heute liege der Durchschnitt bei 1,2 Händlern, weil die Menschen ihre Informationen im Netz finden, die Entscheidung am Rechner treffen und dann gezielt bei einem Händler kaufen.
ROI-Rechnungen systematisch falsch
Genau diese, im Internet ausgelösten, aber bisher kaum meßbaren Offline-Käufe, führen nach Schindlers Ansicht zu systematisch falschen Bewertungen im Controlling:“Die Unternehmen registrieren relativ hohe Abbruchquoten in ihren Online-Shops, können aber nicht messen, wie viele Offline-Käufe ihren Ursprung im Internet hatten. Als Folge sind viele interne Return-on-Investment-Rechnungen komplett falsch. Die Online-Tochtergesellschaften der stationären Händler bekommen daraufhin beinharte Vorgaben und klagen, sie könnten nicht mehr für Werbung ausgeben, da ihre Kosten sonst zu hoch werden. Aber warum? Weil 50, 60, 80 Prozent der Kunden, die im Internet gewonnen werden, aber offline kaufen, nicht mitgezählt werden. Aufgrund dieser falschen Rechnung bauen die Unternehmen ihren Online-Vertrieb nicht schnell genug aus. In Amerika und Großbritannien wird mehr nach Gefühl investiert. Die Deutschen messen sich zu Tode“, sagt Schindler.
Google ist das Tor zur Welt
Die reinen Online-Händler verrechnen sich dagegen nicht, weil sie keine Kanalkonflikte haben.“Die Unternehmen, die die neuen Mechanismen verstehen, erarbeiten sich im Moment signifikante Wettbewerbsvorteile, einschließlich markenbildender Effekte für ihre Online-Tochtergesellschaften. Diese Lücke wird schlagartig größer“, sagt Schindler. Kleine und mittlere Unternehmen passen sich nach seiner Beobachtung erheblich schneller an als die Großunternehmen. Ein gutes Beispiel sei die Firma Meta aus dem Westerwald, die Trennwände für Toiletten herstellt. Das Unternehmen hat alle Werbeplätze bei Google gebucht, die mit dem Thema Toilettentrennwände zu tun haben – und das nicht nur in Deutschland, sondern in allen 30 Sprachen. Die Folge: „Meta ist inzwischen einer der weltgrößten Anbieter von Toilettentrennwänden. Das letzte Mal, als uns der Chef besucht hat, haben wir ihn in seinem Privatjet abgeholt“, sagt Schindler.
Dem Beispiel folgen inzwischen Hunderttausende Unternehmen:“Google stellt für kleine und mittlere Unternehmen das Tor zur Welt dar. Das ist die große unerzählte Geschichte von Google: In der Vergangenheit konnten nur große Unternehmen Werbung in aller Welt schalten. Heute können alle mit einem Klick Werbung bei Google in 30 Sprachen buchen und für wenig Geld auf dem Weltmarkt präsent sein. Mehr als ein Drittel unserer Kunden tut das auch. Mit der Werbung bei Google sind mehr Menschen zu Millionären geworden als intern mit dem Börsengang“, sagt Schindler. Google sei der effizienteste Marketing- und Vertriebskanal zum Erreichen der heutigen Konsumenten.
Werbeausgaben werden umgeschichtet
Er hofft, daß die deutschen Unternehmen die Strukturlücke in den kommenden zwölf bis 18 Monaten erkennen und damit beginnen, ihre Werbeausgaben umzuschichten.“Wir werden in Deutschland sehr hohe Zuwächse in der Online-Werbung sehen. Google wird in Deutschland noch viel Spaß haben“, sagt Schindler. Traurig mußte in der Hamburger Google-Niederlassung auch bisher niemand sein. Offizielle Geschäftszahlen nennt Google nicht, aber eine Ableitung fällt nicht schwer: Google hat im vergangenen Jahr in aller Welt 6,14 Milliarden Dollar Umsatz erzielt. Der Anteil Großbritanniens betrug rund 14 Prozent, also etwa 850 Millionen Dollar. Der deutsche Umsatzanteil liegt unter 10 Prozent und wird daher nicht veröffentlicht. Werden aber die Anteile von Google am deutschen und am britischen Online-Werbemarkt ins Verhältnis gesetzt, dürfte Google in Deutschland im vergangenen Jahr rund 500 Millionen Dollar Umsatz erzielt und – bei Google-üblichen Margen – etwa 200 Millionen Dollar verdient haben. Die Suchmaschine würde damit allein knapp die Hälfte des deutschen Online-Werbemarktes auf sich vereinen und – mit Abstand – den größten Gewinn erzielen.
Wir wollen die restlichen 96 Prozent des Werbemarktes
Vor allem aber weist Google die größte Dynamik im Online-Werbemarkt auf. Der Suchmaschinen-Markt in Deutschland hat sich im vergangenen Jahr mehr als verdoppelt. Und so sieht Schindler wachsende Konkurrenz, zum Beispiel von Yahoo oder Microsoft, gelassen.“Wir wollen uns nicht mit Konkurrenten um den 4-Prozent-Anteil der Online-Werbung streiten. Wir wollen an die restlichen 96 Prozent des Werbemarktes“, sagt er. Denn seiner Meinung nach werden die Suchmaschinen den Werbemarkt revolutionieren.“Google hat mehrere große Änderungen in die Werbewirtschaft eingebracht. Die erste Änderung betrifft die direkte Ansprache der Zielgruppe. Wenn ein Nutzer einen Begriff in die Suchmaschine eingibt, bekommt er nur relevante Werbung eingeblendet, die zu diesem Begriff paßt. Davon hat die Werbewirtschaft 20 Jahre lang geträumt. Zudem ist unser Auktionsmechanismus mit Abstand der effizienteste Weg, Angebot und Nachfrage zusammenzubringen. Und zum Schluß: Die Werbung findet künftig auf digitalen Plattformen statt und läßt sich über extrem leistungsfähige Computersysteme automatisch steuern. Die Kombination aus Relevanz, Auktionsmechanismus und Automatisierung – gekoppelt mit der Digitalisierung – wird die Werbebranche in den kommenden 20 Jahre revolutionieren“, sagt Schindler.
Google in der Zeitung, im Radio und auf dem Handy
Dies gelte aber nicht nur für das Internet. Google hat begonnen, seine Plattform-Philosophie auf andere Medien zu transportieren.“Mit dem gleichen Auktionsmechanismus haben wir begonnen, Radio-Spots in Radiosender einzuspielen. In New York testen wir außerdem, wie wir zielgerichtete Werbung in Zeitungen plazieren können. Und in Japan probieren wir Handy-Werbung aus. Das sind Prototypen, um unser System in andere Mediengattungen auszudehnen“, sagt Schindler.
Die Revolution in der Werbung wird einen fundamentalen Wandel in der Medienlandschaft nach sich ziehen.“Die klassische Markenbildung, zum Beispiel mit einem 30-Sekunden-Werbespot, wird in einer fragmentierten Medienlandschaft – bestehend aus Fernsehen, Zeitung, Internet, Handy, Videospiele – nur noch auf einer Plattform funktionieren. Irgendein Medium muß das Interesse, das in den anderen Medien für eine Marke erzeugt wird, aufnehmen. Das wird das Internet sein. Das, was wir heute schlicht als Website bezeichnen, ist die am meisten unterschätzte Möglichkeit, effiziente Markenbildung zu betreiben. Wie das geht, zeigt zum Beispiel Adidas mit seiner Modemarke Y-3. Das ist spektakulär – aber die Meisten sind noch nicht soweit“, sagt Schindler.
Fernsehsender müssen Angst vor ihren Zuschauern haben
Die beginnende Fragmentierung der Medienlandschaft bedeute aber nicht, daß die klassischen Medien wie Fernsehen oder Zeitungen verschwinden. „Es wird auch in 100 Jahren noch das Bedürfnis geben, in entspannter Haltung fernzuschauen oder Artikel guter Journalisten zu lesen. Aber die Plattform, auf die die Inhalte der Fernsehsender und Zeitungen zum Konsumenten gelangen, wird das Internet sein. Die Art und Weise, wie werbetreibende Unternehmen und Konsumenten in einem System zusammengebracht werden, wird sich ändern. Werbeleistungen werden komplett auf digitalen Plattformen stattfinden – und zwar automatisiert und individuell an den Bedürfnissen der Zielgruppen ausgerichtet“, blickt Schindler nach vorne und schickt eine Warnung an die Fernsehsender hinterher.“Die Fernsehsender müssen keine Angst vor Google haben, sondern vor den Zuschauern, die ihr Mediennutzungsverhalten geändert haben, und davor, daß die werbetreibenden Unternehmen dies irgendwann merken. Die Fragmentierung geht eindeutig zu Lasten des Fernsehens. Wir wissen, daß die Fernsehnutzung in den relevanten Zielgruppen immer mehr abnimmt“, sagt Schindler.
Je mehr die Unternehmen verstehen, wie sie das Internet effizient für Werbung nutzen können, desto größer sei aber die Chance für Medienhäuser, im Internet selbst mit hochwertigen Inhalten Werbeerlöse zu erzielen.“Ich bin fest davon überzeugt, daß die Erlöse aus dem Online-Geschäft die sinkenden Werbeeinnahmen im klassischen Geschäft kompensieren können“, sagt Schindler. (FAZ.net, 11. Juni 2006)
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